Titel
Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft


Autor(en)
Latour, Bruno
Erschienen
Frankfurt am Main 2000: Suhrkamp Taschenbuch Verlag
Anzahl Seiten
386 S.
Preis
DM 54,00
Rezensiert für Neue Politische Literatur und H-Soz-u-Kult von:
Lilienthal, Markus

In den aufgeregten Debatten um einen angemessenen Begriff der sozialen, politischen und kulturellen Moderne ist die Stimme des französischen Wissenschaftsforschers Bruno Latour merkwürdig ungehört geblieben. Dies überrascht umso mehr, als seine Arbeiten der letzten zehn Jahre eine grundlegende Kritik des wissenschaftlichen und philosophischen Selbstverständnisses der "neuen", im Zeichen von Vernunft und Aufklärung anhebenden "Zeit" (Hegel) formulieren, die ihre rationalitätsgläubigen Verteidiger ebenso herausfordert wie ihre postmodernen Kritiker. Bereits in dem 1991 erschienenen Essay Wir sind nie modern gewesen macht Latour auf eine verstörende Paradoxie in den Handlungs- und Interpretationsgeflechten moderner Gesellschaften aufmerksam: Während sie auf der einen Seite unaufhörlich neue Unterscheidungen, Trennungen und Ausdifferenzierungen von ontologischen Ordnungen, ökonomischen und sozialen Rationalitätsmodellen, kulturellen Wertsphären usw. ins Werk setzen, entsteht auf der anderen Seite - gleichsam unvermerkt - ein kaum mehr überschaubares Ensemble von hybriden Entitäten, Mischwesen, in denen die vorgeblich heterogenen Bereiche von Nicht-Menschlichem und Menschlichem, Natur und Kultur, von Dingen und Symbolen, Technik und Gesellschaft, Wissenschaft und Politik unentwirrbar miteinander verflochten erscheinen.

Diese Konstellation sei umso gefährlicher, als die ungebrochene Fixierung des modernen Selbstverständnisses auf eine Logik der Reinigung/Entmischung ambivalenter Gefüge und undurchsichtiger Lagen es unmöglich mache, die untergründige Realität der Hybriden konzeptuell in den Blick zu bekommen und ihr unkontrolliertes Wachstum, das die politischen und rechtlichen Institutionen vor schier unlösbare Probleme zu stellen droht, praktisch zu begrenzen. Die unheilvolle Dynamik der Dialektik der Aufklärung lasse sich nur dadurch aufhalten, daß das kategoriale Gefüge der Moderne, die Matrix ihrer zentralen Begriffe und leitenden Unterscheidungen, einer grundlegenden Revision unterzogen werde.

Die Hoffnung der Pandora ist der ambitionierte Versuch, dieses Programm systematisch einzulösen. In neun aufeinander aufbauenden Kapiteln entsteht ein Panorama fortgeschrittener Gesellschaften, das mit der Differenzarchitektonik klassischer Theorien der Moderne bricht, um eine neue Semantik nicht-dichotomischer Vermittlungsbilder und -begriffe vorzuschlagen, die nicht nur der komplexen Verfassung der zeitgenössischen 'condition humaine' analytisch besser gerecht werden sollen, sondern darüber hinaus beanspruchen, ihr einen Weg aus den politischen und moralischen Sackgassen zu bahnen, in denen das normative Potential der Moderne, ihr Interesse an politischer Partizipation und sozialer Gerechtigkeit, gleichsam sistiert erscheint.

Moderne Gesellschaften, so die grundlegende These, zeichneten sich gerade nicht - wie in den evolutionstheoretischen Differenzierungsszenarien der Sozialphilosophie des 20. Jahrhunderts von Weber über Simmel bis hin zu Luhmann wiederholt unterstellt wird - dadurch aus, daß sie ihre unterschiedlichen Ordnungsgefüge und Funktionssysteme immer stärker entmischten und verselbständigten; vielmehr bestehe eine "bemerkenswerte Kontinuität" (S. 239) zwischen der Art und Weise, in der sog. 'traditionelle' Kulturen Dinge, Werkzeuge, Symbole, Riten und Vergesellschaftungsformen aufeinander beziehen, und den hybriden Mischungen von Naturgesetzen, Technologien, sozialen Institutionen, politischen Strategien und religiösen Überzeugungen, die sich heute beobachten lassen. Wenn überhaupt ein evolutionärer Unterschied verzeichnet werden könne, dann der, daß "die moderne Gesellschaft sehr viel mehr Elemente in einem feiner geflochtenen sozialen Gewebe verknüpft, übersetzt, austauscht, rekrutiert und mobilisiert" (ebd.). Aber anstatt sich dieser Vermischungsdynamik analytisch anzunehmen, haben die Selbstbeschreibungen der Moderne eine diskursive "Übereinkunft" (S. 23 u. ö.) etabliert, welche die stets verbundenen, zu "Kollektiven" zusammengefügten Momente auf abstrakte Weise auseinander zu halten sucht. Nahezu alle Beschreibungsdimensionen der modernen Selbst- und Weltverhältnisse werden von solchen Dichotomien durchquert: Epistemologisch die von einsamem Erkenntnissubjekt und realer Außenwelt (Kapitel 2); wissenschaftstheoretisch die von autonomem, nur der originären Sache gewidmeten, szientifischen Diskurs und den beiherspielenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (Kapitel 3); ontologisch die Unterscheidungen von konstruierten und realen Entitäten bzw. von wandelbarer menschlicher Geschichte und zeitlos-ewiger Natur (Kapitel 4 und 5); technikphilosophisch die Entgegensetzung einer Welt der Dinge und einer Welt der sozio-symbolischen Ordnungen, die jene zu instrumentalisieren sucht, um umgekehrt von ihr beherrscht zu werden (Kapitel 6); kultur- und ideologiekritisch die Affirmation eines objektiven Wissens um die Verfassung der Wirklichkeit gegen die Phantasmata gläubiger Irrationalität (Kapitel 9).

Dem an der Praxis der Forschung, ihren konkreten Orten, Trägern, Institutionen und Repräsentanzen geschulten Blick des Wissenschaftsforschers bietet sich demgegenüber ein gänzlich anderes Bild dar. Erkenntnissubjekte sind keineswegs isolierte Instanzen, die den Graben zwischen Sprache und Realität nicht zu überbrücken vermögen und deren Ansprüche auf Gewißheit und Wahrheit deshalb immer fragwürdig bleiben müssen; für Latour finden sie sich vielmehr über eine Kette unendlich kleiner Transformationsschritte, zwischen denen die problematische Referenz gleichsam zirkuliert, in einem ununterbrochenen Darstellungszusammenhang mit der Welt. Das epistemologische Drama eines letztlich unerforschlichen Bezugs der Zeichen auf die Dinge, das die westliche Philosophie seit Descartes umtreibt, erweise sich damit ebenso als tragikomische Fiktion wie die wissenschaftstheoretische Unterscheidung zwischen einem harten, inhaltsbezogenen Kern der Wissenschaften und seinen randständigen gesellschaftlichen Kontexten. Wie Erkenntnisarbeit überhaupt, so sei auch Wissenschaft als Übersetzungs- bzw. Transformationspraxis zu begreifen, in der esoterische und exoterische Faktoren vielschichtig miteinander verknüpft sind. Ihre intrinsische Sachdimension, der Bereich der wissenschaftlichen Begriffe, Inhalte und Hypothesen läßt sich nämlich nur dann hinreichend stabilisieren, wenn es gelingt, sie im komplexen Gefüge der Welt zu verankern. So muß nicht nur - über technische Instrumente und Verfahrensordnungen - sichergestellt werden, daß die sie interessierenden nicht-menschlichen Wesen in den Diskurs der Zeichen und Argumente eingebunden werden können; darüber hinaus gilt es, den jeweilig verfolgten Strategien in der Forschergemeinschaft Geltung zu verschaffen, nach außerwissenschaftlichen Allianzen zu suchen, welche die Basis der Forschungsarbeit zu erhalten oder gar zu verbreitern versprechen, und die medial repräsentierte Öffentlichkeit von der gesellschaftlichen Relevanz der Projekte zu überzeugen. Mit jedem dieser notwendigen Übersetzungsschritte, so Latour, verschiebe sich der begriffliche Inhalt der Wissenschaft, ohne dadurch freilich an Sachhaltigkeit einzubüßen. Im Gegenteil: Erst in der Verbindung mit dem "Kollektiv" (S. 131 u.ö.) von Gegenständen, Instrumenten, Praktiken, Institutionen, Interessen usw. gewännen ihre Urteile jene unbezwingbare Härte und Objektivität, die sie nach ihrem eigenen Selbstverständnis in so unvergleichlicher Weise auszeichnen. Die theoretische Rekonstruktion der unendlich verästelten Übersetzungsarbeit, mit der die (Natur-) Wissenschaften die nicht-menschliche Welt gleichsam "sozialisieren", d. h.: in einem übergreifenden Kollektiv von menschlichen und nicht-menschlichen Wesen zur Geltung bringen, führe deswegen auch zu keiner "Gefährdung", "Depotenzierung" oder gar "Zerstörung" der Wissenschaftsinstitution und ihrer originären Rationalitätsform, wie in den zeitgenössischen Auseinandersetzungen der "science wars" immer wieder zu hören war. Wäre die Distanz zur spekulativen Dialektik nicht durchgängig spürbar, könnte man geradezu an einen wiederbelebten Hegelianismus denken: Die Einsicht in die Vermitteltheit der Dinge beraubt sie nicht etwa ihrer Substantialität und Selbständigkeit; die Aufdeckung konstitutiver Bezüge und irreduzibler Verflechtungen verleiht ihnen vielmehr eine ungeahnte Konsistenz, die im Kontext der alten modernistischen "Übereinkunft" zwar behauptet, aber begrifflich nicht eingelöst werden konnte. Die erstaunlichen Potentiale eines solchen Denkens der Vermittlungen zeigen sich zumal in der Umarbeitung der ontologischen Leitunterscheidungen von Realität/Konstruktion bzw. Natur/Geschichte. Der Begriff der Konstruktion hat sich über die Jahrzehnte zu einer Art Schlüsselkategorie entwickelt, um den Seins-Status wissenschaftlich erschlossener Entitäten zu kennzeichnen. Daß die Wissenschaften die von ihnen behaupteten Sachverhalte "konstruieren", daß ihre Objekte "fabriziert", d. h.: in artifiziellen Versuchsanordnungen auf einfallsreiche Weise analysiert und rekombiniert werden, wird heute - über die Gräben der "science wars" hinweg - kaum mehr bestritten.

Die Transformationsheuristik Latours schlägt demgegenüber ein ganz anderes Beschreibungsvokabular vor. Die experimentelle Verfertigung einer wissenschaftlichen Tatsache verlangt nämlich stets nach mehr, als die Ausgangsbedingungen der Versuchsanordnung von sich aus beinhalten. Wissenschaftliche Hypothesen sind per se unsicher, sie vermögen ihre Wahrheit durch sich selbst, durch den intensionalen Gehalt der Begriffe und ihre materiellen Entsprechungen in einem experimentellen Setting, nicht zu garantieren. Um sie zu ratifizieren, bedarf es, wie man im Anschluß an Adorno formulieren könnte, eines "Hinzutretenden", eines nicht kalkulierbaren Surplus-Moments, in dessen Medium sich die Akteure, 'Beobachter und Objekt', gleichsam austauschen und transformieren.

Nach dem Experiment sind beide nicht mehr dieselben, ohne daß man diese Verwandlung hätte antizipieren können. Experimente sind daher viel eher als "Ereignisse" (S. 152 u.ö.), als mittlere Orte zu charakterisieren, in deren (gelingendem) Auf-brechen die funktionalen Rollen und der ontologische Status von 'wissenschaftlichem Beobachter' und 'Objekt' neu verteilt werden. Ihre Begegnung folgt dabei einer paradoxen Logik "rekursiver Autorisierung" menschlicher und nicht-menschlicher Wesen (S. 160), die an die hermeneutische Verfassung menschlicher Intersubjektivät erinnert: In der reflexiven Komplizierung seiner Arbeitsschritte entläßt der 'Beobachter' gleichsam das 'Objekt' aus dem Zugriff seiner Konstruktion, um von ihm die un-bedingte, nicht auf sein Vorverständnis reduzierbare, Autorisierung zu erhalten, in seinem Namen (dem des Objekts) sprechen zu dürfen.

Diese Logik ist nicht nur für das Verständnis wissenschaftlicher Arbeit von großer Bedeutung, sondern bietet darüber hinaus interessante Ansatzpunkte für den Entwurf einer nicht-instrumentalistischen Theorie des Herstellens und Handelns. In jedem poietischen Akt wie in jedem Handeln ereignet sich eine doppelte "Überraschung" (S. 345f.): Zum einen sind wir nie ganz die "Herren und Meister" unserer Vollzüge; jeder sprachlichen, gestischen oder motorischen Performanz eigne ein Moment des Entzugs, der Unverfügbarkeit, die Situation (einschließlich des Handelnden selbst) stellt sich anders dar als gedacht. Auf der anderen Seite bietet unser Handeln aber auch dem Kollektiv der menschlichen und nicht-menschlichen Wesen unvorhersehbare Möglichkeiten, sich anders zu organisieren und zu verteilen, es wird zur Einsatzstelle einer alternativen Artikulation der Welt.

Um diese eigentümliche Logik der Beziehung zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Wesen präziser zu fassen, schlägt Latour - im Anschluß an den Wissenschaftsphilosophen Alfred N. Whitehead - den Begriff der Proposition vor. In ihm wird die kategoriale Verschiebung von einer gegenstandstheoretischen zu einer hermeneutischen Ontologie greifbar. Propositionen sind die Ereignis-Orte, an denen verschiedene Entitäten einander begegnen, miteinander interagieren und sich - nach dem Modell der Experimentalpraxis - wechselseitig transformieren. Was sich dabei vollzieht, ist die unablässige Arbeit an der Artikulation von Welt: Entitäten treten in immer neue Konstellationen, in denen sie andere Bestimmungen, überraschende Prädikate annehmen, die ohne diese Vermittlung nicht formulierbar gewesen wären. Die Substanz der Dinge, das, was sie in ihrem Innersten zusammenhält, ist nicht ein für allemal vorgegeben, sondern wird in einem Netzwerk von Propositionen instituiert, konfirmiert, transformiert und verschoben. Insofern besitzen nicht nur menschliche Wesen eine Geschichte, sondern auch die Natur und die Dinge; was sie sind, bestimmt sich nach dem Ensemble von wechselnden, unkalkulierbaren Ereignis-Orten, in die sie eintreten und über die sie als so oder so beschaffene artikuliert werden.

Mit den Begriffen der Proposition und der Artikulation eröffnet sich auch ein alternatives Verständnis der Technik: Während die "modernistische Übereinkunft" sie entweder als neutrales Werkzeug oder als anonyme, unbeherrschbare Schicksalsmacht (Heidegger) begriffen hatte, schlägt Latour vor, sie als eine Art 'Medium' zu beschreiben, in dem heterogene (menschliche und nicht-menschliche) Entitäten sich überkreuzen, austauschen, neu zusammensetzen, ihre Orte und Zeiten synchronisieren, von der Ordnung des Symbolischen in die Ordnung des Materiellen überwechseln usw. Technische Operationen bilden komplexe Handlungsfelder, die von einer großen Zahl unterschiedlicher Aktanten (Individuen, sozialen Positionen, gesellschaftlichen Verhaltenserwartungen, unbewußten Antrieben, materiellen Gegenständen) mit divergierenden Zielen und Funktionen bevölkert werden, welche sich permanent verbinden und transformieren. Ihre Rekonstruktion kann daher nicht mehr dem intentionalistischen Paradigma der Moderne folgen, das noch glaubte, nach vorgegebenen Kriterien Subjekte und Objekte, Zwecke und Mittel eindeutig unterscheiden und festlegen zu können.

Fragt man nach Bedingungen, unter denen die brüchige Vernunftordnung der Moderne so lange überdauern konnte, so wird man auf ein politisches Motiv verwiesen: Die Vorstellung einer objektiven, menschlicher Verfügung entzogenen 'Welt-da-draußen' erscheint als der einzig zuverlässige Schutz, um den ständig drohenden Gefahren von Gewalt, Unordnung und Irrationalität zu wehren. Wie Latour in einer luziden Interpretation des platonischen Gorgias (Kapitel 7 und 8) zu zeigen versucht, werde die Politik bereits in der griechischen Antike auf ein - an den Verfahren der Mathematik abgelesenes - wissenschaftliches Rationalitätsmodell verpflichtet, das ihre eigentümlichen Gelingensbedingungen notwendig verfehle. Das Politische habe es mit der komplexen Repräsentation von Angelegenheiten zu tun, die unter vielen Menschen umstritten sind, stets unter Bedingungen der Dringlichkeit von Entscheidungen behandelt werden und von denen es kein gesichertes Kausalwissen gebe, das präzise Vorhersagen über den Lauf der Dinge ermöglicht (S. 294ff.).

Die Prätention, politische Vernunft zum Gegenstand monopolistischer Expertensysteme machen zu können, müsse deshalb unausweichlich zu ihrer Depotenzierung führen. Mit dem neuen Verständnis von Erkenntnis, Wissenschaft und Technik, wie es sich in den Arbeiten der science studies geltend mache, werde es jedoch heute möglich, das Politische aus den Klauen der szientifischen Rationalität zu befreien und ihm einen neuen, radikaldemokratischen Sinn zu geben. Angesichts der hybriden Verkettungen von menschlichen und nicht-menschlichen Wesen, welche die moderne Wissenschaft und Technik hervorgebracht haben, wachse der Politik die Aufgabe zu, den neuen Kollektiven einen Versammlungsort (eine 'agora', zu der alle Beteiligten, menschliche wie nicht-menschliche Wesen, gleichberechtigt Zugang haben) zur Verfügung zu stellen, an dem sie ihre unübersichtliche Verfassung reflektieren, ihre divergenten Interessen artikulieren und ihr naturwüchsiges, verwirrendes Vermittlungsgeflecht in eine gerechte Ordnung (eine Art Kosmos) überführen können.

Der Erfolg einer solchen "Politik der Dinge" (S.320) setzt freilich eine tiefgreifende Transformation des kulturellen Selbstverständnisses und der normativen Grundlagen der Gegenwartsgesellschaften voraus (Kapitel 9). Der ikonoklastische Furor der modernen Entfremdungskritik habe im Namen von wissenschaftlicher Wahrheit und individueller Authentizität alle Bilder und Fetische, in denen sich eine reflexive Distanz des Sozialen zu sich selbst verkörperte, zerschlagen. Zurückgeblieben ist eine (bereits in Hegels Phänomenologie des Geistes eindrücklich beschriebene) Weltgestalt, die zwischen der schicksalhaften Verfertigung sinnloser, opaker Fakten und der ohnmächtigen Behauptung von noumenalen Glaubensüberzeugungen bewußtlos hin- und hertreibt. Dieser fatalen Situation könnten wir nur entkommen, so Latour, wenn auch die kulturelle Leitunterscheidung der Moderne zwischen Fakten und Fiktionen, Wissen und Glauben unterlaufen werde. Ihre Dekonstruktion lasse die Möglichkeit aufscheinen, unsere 'entzauberte Welt' (Weber) mit Faitichen, hybriden Mischwesen zu bevölkern, in der die hermeneutische Paradoxie aller Vermittlungsarbeit, die Konstruktion und Autonomie, Machen und Freilassen zu einer internen Relation verhält, greifbar wird. Nur über solche Faitiche sei zudem sicherzustellen, daß moralische Gesichtspunkte wie Achtsamkeit, Vorsicht oder Respekt in die Fabrikation wissenschaftlicher, technischer und gesellschaftlicher Tatsachen zurückgebracht werden könnten und nicht erst ex post, über die ohnmächtigen Szenarien einer konsequentialistischen Folgenabschätzung, wirksam werden.

An dieser Stelle tun sich natürlich eine Reihe von Fragen auf: Wie, über welche Mechanismen, durch welche Handlungs- und Interpretationsmodelle soll die vorgeschlagene kulturelle und politische Transformation der Moderne möglich werden? Was bedeutet es, von einer Kosmopolitik zu reden, die menschliche und nicht-menschliche Wesen (Kühe, Prionen, Hormone usw.) versammelt, und wie soll man in ihrem Rahmen die wissenschaftlich-technisch vollzogene Artikulation der verschiedenen Kollektive (nicht bloß metaphorisch) in eine politische Sprache übersetzen? Läßt sich die normative Dimension des Sprechens, Herstellens und Handelns wirklich überzeugend in der hermeneutischen Figur der Faitiche verdichten, die alle Vermittlungen in einen reflexiven Abstand zu sich und dem, was ihnen - als Surplus-Moment - entgeht, bringen sollen? Sind die Begriffe der Proposition und Artikulation trennscharf genug, um die komplexe Struktur der symbolischen Ordnungen der Welt angemessen zu beschreiben?

Auch wenn diese Fragen letztlich unbeantwortet bleiben - Die Hoffnung der Pandora ist einer der beeindruckendsten Versuche der letzten Jahre, die selbstkritische Transformationsarbeit der Moderne - gegen alle postmoderne Resignation - konsequent fortzusetzen. Wenn es denn wirklich einmal gelänge, die Dialektik der Aufklärung politisch und kulturell zu überwinden: Latour hätte einen nicht zu überschätzenden Anteil daran.

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Rezension hervorgegangen aus der Kooperation mit der Zeitschrift Neue Politische Literatur (NPL), Darmstadt (Redaktionelle Betreuung: Simone Gruen). http://www.ifs.tu-darmstadt.de/npl/
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